Modernes Rotkäppchen
Carina Raddatz packt jeden Monat Lebensmitteltüten für bedürftige Senioren. ¹⁾
Willi Weitzels Mutmachgeschichte
Carina Raddatz beobachtete eine alte Dame, die im Müll nach Pfandflaschen suchte. Das hat die Kölnerin so berührt, dass sie beschloss, etwas gegen Altersarmut zu tun. Willi Weitzel stellt die Gründerin von „Obstkäppchen“ vor.
Altersarmut im Kern zu bekämpfen, ist ein großes gesellschaftliches und politisches Thema. Aber wie viel so eine Initiative bewirkt, wie sie Carina Raddatz angestoßen hat, ist wirklich ermutigend! „Wir von Obstkäppchen helfen bedürftigen Seniorinnen und Senioren niederschwellig und können damit ein Zeichen gegen Altersarmut setzen“, erklärt sie mir im Video-Chat.
Herzensprojekt Obstkäppchen
Wir alle haben schon einmal jemanden beim Pfandflaschensuchen gesehen – und nichts unternommen. Was war bei Carina anders? „Die alte Dame, die ich in Köln gesehen habe, wie sie in Mülleimern wühlte, erinnerte mich so sehr an meine eigene Oma …“, erzählt die 33-Jährige. „So etwas wünschen wir uns nicht für unsere Eltern, Großeltern oder uns selbst.“
Carina beginnt, zu Altersarmut zu recherchieren. Das gibt ihr den letzten Anstoß. „Für so viele Menschen ist Armut im Alter Lebensrealität. Sie haben mit ihrer Arbeit und Carearbeit schon so viel geleistet und landen dann in der Bedürftigkeit. Das hat mir unfassbar leidgetan und das fand ich sehr frustrierend.“
Sie überlegt: Was sind die Konsequenzen aus Altersarmut? Eine ist, dass Betroffene an gesunder Ernährung sparen müssen – und sie kommt auf die Idee, Tüten mit Obst und Gemüse an Bedürftige zu verteilen. „Ich habe schnell gemerkt, dass das mein Herzensprojekt ist, dadurch habe ich mich superschnell direkt an die Umsetzung gemacht.“
Obst, Gemüse und Zeit
Carina war damals 25 und gerade frisch zurück von ihrem Masterstudium „Internationale Beziehungen“ in England. Sie hätte einfach beruflich durchstarten können, stattdessen strickte sie an ihrer Idee zu „Obstkäppchen“. Bald waren Freunde mit im Boot, sie gründeten einen Verein und starteten in Hennef.
„Wir sind moderne Rotkäppchen, weil die Senioren von der Altersarmut verschluckt werden wie vom bösen Wolf. Wir kommen mit Obst, Gemüse und Zeit.“
Zur Altersarmut gehört nämlich oft auch Alterseinsamkeit. „Die Senioren freuen sich sehr über den Inhalt der Tüten, aber es zählt fast mehr, dass da jemand vorbeikommt und zuhört, sich hinsetzt und sie wahrnimmt“, erzählt Carina, die als Dozentin für Wirtschaftspsychologie tätig ist.
Was ich schön finde: Es sind so schon Freundschaften entstanden – auch unter den Ehrenamtlichen, die alle Tüten in einer Stadt erst gemeinsam packen und sie anschließend verteilen.
Wie findet der Verein eigentlich zu den Bedürftigen? Vielerorts arbeitet Obstkäppchen mit dem Amt für Soziale Angelegenheiten zusammen. Das schreibt von Altersarmut Betroffene an, stellt das Angebot der Lebensmitteltüten vor und legt ein Anmeldeformular bei.
Besondere Weihnachtstüten
Zum Weihnachtsbesuch gibt es eine besondere Tüte. Wie alle anderen wird auch diese mit Geldspenden finanziert. Sie enthält zusätzlich zumeist selbst gebackene Plätzchen, einen Schokonikolaus, ein kleines Weihnachtsgeschenk und eine Weihnachtskarte.
In Stuttgart ist Therapiehund Gustav dabei, wenn es für Senioren Weihnachtstüten gibt. ¹⁾
Altersarmut kommt nicht in die Tüte
70 Ehrenamtliche sorgen bei „Obstkäppchen“ e.V. einmal im Monat dafür, dass rund 450 bedürftige alte Menschen – überwiegend in NRW und in Stuttgart – Lebensmitteltüten erhalten. Vor allem Frauen benötigen diese Spenden.
Näheres unter: obstkäppchen.de