Pauline nimmt die Zukunft in die Hand

Genaues, feines Arbeiten: darauf kommt es im Schneiderhandwerk an. © Stefanie Kösling
Künstliche Intelligenz im Handwerk
Künstliche Intelligenz wird manche der sogenannten Schreibtischjobs ersetzen. Wird das in der Folge dem Handwerk und den sozialen Berufen den dringend benötigten Zulauf bescheren? Ein Blick in die nahe Zukunft macht da – ein wenig – Hoffnung.
„Am Sakko-Knopfloch zeigt sich die Meisterschaft“, sagt Pauline Unkelbach. Undenkbar, dass künstliche Intelligenz da jemals auch nur annähernd etwas ähnlich Hochwertiges und auch Individuelles abliefern könnte wie eine Schneiderin. Die Zwanzigjährige aus Hanau absolviert in Frankfurt gerade eine Ausbildung zur Maßschneiderin. Sie fühlt sich nicht nur sehr glücklich mit ihrer Arbeit, die sie als enorm sinnstiftend erlebt. Sie fühlt sich auch sehr sicher vor einer der größten Umwälzungen seit der industriellen Revolution: dem Einsatz von künstlicher Intelligenz am Arbeitsplatz.
Vor allem Bürojobs in den Verwaltungsbereichen von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen sollen davon betroffen sein. Laut einer Studie von McKinsey¹ könnten hier fast ein Drittel der Arbeitsstunden von KI übernommen werden – mit Folgen für den Bedarf an Arbeitskräften in diesen Bereichen.
Berufswahlverhalten
Ist das den jungen Menschen am Anfang ihres Berufslebens bewusst? Eine Studie der Universität Bern² legt das nahe. Die Forscher hatten das Online-Suchverhalten bei der Berufswahl von Jugendlichen untersucht – mit dem Ergebnis, dass das Interesse an Verwaltungsberufen und kaufmännischen Ausbildungen um 18 Prozent zurückging.
Nach Einschätzung von Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung, „spricht manches dafür, dass das in Deutschland ähnlich ist“. Allerdings könne man auch feststellen, dass Jugendliche die wachsende Bedeutung der Digitalisierung positiv und als Chance auf Weiterentwicklung betrachten. Und KI weniger als Bedrohung denn als Anreiz empfunden wird. Es würden nämlich gerade die Ausbildungsberufe bevorzugt, in denen KI durchaus eine Rolle spielt – nicht als Konkurrenz, sondern als Unterstützung.
„Die Jugendlichen achten schon darauf, ob man in einem Beruf auch mit modernen Medien arbeitet. Mit Notebooks, mit Tablets. Einfach, weil die ohnehin schon zu ihrer Kultur gehören, ebenso wie künstliche Intelligenz.“

Pauline Unkelbach lernt in der traditionsreichen Schneiderei Roland Schmidt in Frankfurt. © Stefanie Kösling
Wissensintensiv und digitalisiert bevorzugt
So seien derzeit vor allem Ausbildungen gefragt, „die mit der digitalen Welt verknüpft und durchaus anspruchsvoll sind.“ Beispielsweise zum Mechatroniker, Fachinformatiker, Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik.
Natürlich kann es sein, dass einige sich in der Berufsberatung noch einmal umorientieren, weil der Traumberuf doch nicht so zukunftsfest scheint. So wie Robin Barthold aus dem Hochtaunuskreis. Eigentlich wollte der 18-Jährige Bankkaufmann werden: „Aber der wird ja mehr und mehr durch KI ersetzt. Deswegen habe ich gesehen, dass ich im Handwerk bessere Chancen habe.“ Nach einigen Praktika hat er sich nun für eine Ausbildung zum Zerspanungsmechaniker entschieden. „Da spielt KI auch eine große Rolle, aber eher als Arbeitserleichterung.“
Aufstiegsträume
Friedrich Hubert Esser geht davon aus, dass die KI einige Berufe verdrängen wird und andere neu entstehen lässt – unterm Strich gleiche sich das aus. Eine Umwälzung, die den Lehrlingsmangel im Handwerk und in der Pflege behebt, sieht er aber nicht.
Denn bei der Berufswahl spielen Image und (veraltete) Annahmen eine große Rolle. Etwa, dass nur ein Studium und/oder ein Bürojob ein Karriere-Turbo seien. „Das hat in den 1970er-Jahren angefangen, mit den Aufstiegsträumen der Elterngeneration aus dem Handwerk, aus dem Bergbau, aus der Dienstleistung und ist immer noch verbreitet“, so der Experte.
Wie anspruchsvoll Handwerksberufe gerade auch durch den Einsatz von KI längst sind, wie viel modernste Technologie, wie viel Wissen und auch Sinnhaftigkeit in Handwerksberufen stecken kann – das muss sich noch weiter herumsprechen. Dabei ist am Ende nicht die KI der stärkste Motor für eine Trendwende, sondern es sind Auszubildende wie Pauline Unkelbach und Robin Barthold, die mit ihrem Beispiel anderen den Weg zu einem spannenden, sicheren und zukunftsträchtigen Arbeitsplatz ebnen könnten.
Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser
Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung. © Gelowicz/Bundesinstitut für Berufsbildung
Der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung hat selbst eine bewegte Berufsbiografie hinter sich. Nach einer Ausbildung im Bäckerhandwerk machte er über den „zweiten Bildungsweg“ Abitur und studierte Wirtschaftswissenschaften, Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik.