Zwischen Faszination und Frust

Ab welchem Alter ist ein Smartphone sinnvoll? ¹⁾
Expertengespräche über das Thema Smartphone in Schulen
Erste Bundesländer haben Smartphones an Schulen verboten – auch um die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu schützen. Doch ist das der richtige Umgang mit einem Gerät, das unseren Alltag ständig begleitet? Drei Perspektiven auf eine Debatte, die zwischen Freiheit, Verantwortung und gesellschaftlichem Druck verläuft.
Macht das Smartphone unglücklich, Christian Montag?
alverde: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es zum Zusammenhang zwischen Smartphone-Nutzung und dem psychischen Wohlbefinden von Jugendlichen?
Christian Montag: Das ist komplex. Studien können selten eine klare Kausalität belegen. Wir wissen zumeist nicht, ob exzessive Smartphone-Nutzung Menschen unglücklicher macht oder ob unglückliche Menschen digitale Medien als Flucht nutzen. Für Störungen wie Depressionen gibt es viele Einflussfaktoren. Aber: Je jünger Kinder sind, desto leichter können sie problematische Nutzungsmuster entwickeln.
alverde: Weil sie das Smartphone schlechter aus der Hand legen können?
Christian Montag: Genau. Der präfrontale Kortex, der die Impulskontrolle steuert, ist erst mit Mitte 20 voll entwickelt. Kinder, die viel Zeit mit sozialen Medien oder Online-Games verbringen, verpassen zentrale analoge Erfahrungen: spielen, toben, soziale Interaktion. In unserer noch unveröffentlichten Studie mit 850 Kindern zwischen sechs und elf Jahren zeigte sich: Sobald sie ein eigenes digitales Gerät besaßen, wurden vermehrt Verhaltensauffälligkeiten beobachtet. Entscheidend ist also, dass ein Zehnjähriger nicht über ein eigenes Smartphone verfügen sollte. Aber klar kann das Kind auch mal das Tablet der Eltern benutzen und damit etwas Altersgemäßes machen.
alverde: Gibt es eigentlich Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen in der Nutzung und in der Tendenz, Probleme zu bekommen?
Christian Montag: Ja, Jungen werden eher von Videogames abhängig, während Mädchen oft stundenlang Social Media nutzen. Gerade für Mädchen in der frühen Pubertät ist gut belegt, dass die exzessive Nutzung problematische Körperbilder verstärken kann. Mein Hauptkritikpunkt gilt jedoch den Plattformbetreibern: Fehlende Alterskontrollen und Algorithmen, die Nutzer so lange wie möglich online halten, bewirken, dass Kinder diesen Mechanismen schutzlos ausgeliefert sind.
alverde: Sie haben den Appell des „Bündnis für humane Bildung“ unterschrieben, die Digitalisierung in der Bildung zurückzufahren und Smartphones an den Schulen zu verbieten. Warum?
Christian Montag: Weil wir dringend gegensteuern müssen. Ich plädiere für eine „digitale Schuluniform“: Schüler können Tablets nutzen, wenn es wirklich dem Lernen dient – und zwar von der Schule gestellte. Private Smartphones bleiben bis zur Oberstufe außen vor. Wir müssen kritisch hinterfragen, wann digitale Medien tatsächlich einen Mehrwert haben. Zum Beispiel ist gut belegt, dass das Leseverständnis bei Texten auf Papier besser ist als auf digitalen Geräten.
Ist der Bildschirm nur der Sündenbock, Niko Kappe?
alverde: Auf dem Cover Ihres Buches sieht man fünf Pre-Teens, die fasziniert auf ihre Smartphones blicken. Für Digital-Skeptiker ein Sinnbild für Vereinzelung, gestörte Kommunikation und Abhängigkeit. Was sehen Sie?
Niko Kappe: Ich sehe Kinder, die etwas entdecken – vielleicht recherchieren sie gerade für den Unterricht oder vernetzen sich mit Freunden. Wir wissen oft nicht, was auf dem Bildschirm passiert, urteilen aber schnell. Klar gibt es problematisches Nutzungsverhalten, aber das Smartphone an sich ist nicht das Problem. Die Frage sollte nicht sein: „Wie schaffen wir eine smartphonefreie Kindheit?“, denn die gibt es nicht. Kinder erleben von klein auf, dass ihre Eltern mit diesen Geräten ihren Alltag organisieren. Wir müssen vielmehr klären: „Wie begleiten wir Kinder sinnvoll in der digitalen Welt?“
alverde: Kritiker fordern ein generelles Smartphone-Verbot an Schulen. Wie stehen Sie dazu?
Niko Kappe: Ich halte nichts von Verboten, die von oben festgelegt werden. Jede Schule sollte selbst herausfinden, welche Regeln funktionieren. Dabei müssen Schülerinnen und Schüler unbedingt einbezogen werden. Entscheidend ist, dass wir junge Menschen darin schulen, Medien bewusst zu nutzen. Was bedeutet eine Instagram-Werbung? Wie erkenne ich Fake News? Warum zeigt mir der Algorithmus bestimmte Inhalte? Das sind Fragen, die wir in der Schule besprechen sollten, anstatt die Geräte aus dem Klassenraum zu verbannen.
alverde: Sie setzen digitale Medien auch bewusst im Unterricht ein. Wie genau?
Niko Kappe: Indem ich den Schülern zum Beispiel die Aufgabe stelle, aus einem Unterrichtsthema ein Video im TikTok-Stil zu machen. Sie müssen recherchieren, ihre Ideen strukturieren und kreativ umsetzen. Und sie sind maximal motiviert, weil ich sie in ihrer Lebenswelt abgeholt habe.
alverde: Smartphones sind also nicht das Problem?
Niko Kappe: Nein, das Problem ist, wenn wir uns der Verantwortung entziehen. Als Vater muss ich die Apps kennen, die meine Kinder auf ihrem Smartphone installiert haben. Was sie auf Social Media gesehen oder welche Spiele sie gespielt haben, sollte selbstverständlich am Abendbrottisch besprochen werden. Wenn meine Kinder zu mir kommen, wenn der Fußball in eine Scheibe geflogen ist, dann kommen sie wahrscheinlich auch, wenn sie in der digitalen Welt Mist gebaut haben oder etwas gesehen haben, das sie belastet.
Warum soll das Smartphone nicht Privatsache sein, Verena Holler?
alverde: Sie haben den Verein „Smarter Start ab 14“ gegründet. Was war der Auslöser?
Verena Holler: Als unser ältester Sohn in der dritten Klasse war, kam das Thema Smartphone auf: Einige Kinder hatten eines, andere wünschten es sich zum Geburtstag. Eine Familie, die mich sehr beeindruckt, hatte bei ihren Kindern eine klare Regel: erst mit 14. Das fanden mein Mann und ich sinnvoll und haben es auch so gehalten. Weil wir merkten, dass es hilft, wenn Eltern an einem Strang ziehen, gründeten wir später den Verein.
alverde: Warum ist es so wichtig, dass Familien sich absprechen?
Verena Holler: Weil Kinder sich vergleichen – kein Kind möchte Außenseiter sein. Wenn fast alle in der Klasse ein Smartphone haben, geben auch die Eltern nach, die eigentlich etwas anderes wollen. Die Erleichterung ist groß, wenn sie merken, dass sie mit ihrer Einstellung keineswegs allein sind. Wir ermutigen Eltern, sich schon am Anfang der Grundschulzeit zu vernetzen und gemeinsam Regeln zu finden, dann wird die Entscheidung für alle leichter.
alverde: Viele Kinder bekommen in der fünften Klasse ihr erstes Smartphone – warum hinterfragen Sie diese Regel?
Verena Holler: Weil es ein Automatismus und keine bewusst getroffene Entscheidung ist. Als Argument wird oft der längere Schulweg zur weiterführenden Schule genannt. Aber dafür braucht es kein Smartphone, ein einfaches Tastenhandy reicht völlig aus. In dieser Altersstufe bringt ein Gerät, das für ständige Ablenkung sorgt, mehr Probleme als Nutzen.
alverde: Smartphone-Skepsis ist vor allem im Bildungsbürgertum verbreitet. Wen erreicht Ihr Verein?
Verena Holler: Ehrlicherweise eher die materiell bessergestellten Eltern, die die Ressourcen haben, sich umfassend zum Thema zu informieren. Doch gerade das ist ein Argument für mich, dass Schulen sich viel stärker um die Frage, wann ein eigenes Smartphone sinnvoll ist, kümmern müssen. Die Medienerziehung sollte nicht allein auf die Familien abgewälzt werden.
alverde: Und wie sollte der Einstieg mit 14 aussehen?
Verena Holler: Vor dem 15. Lebensjahr sind die Kinder ja nicht abstinent, sondern nutzen die Medien zusammen mit ihren Eltern – und erwerben dabei Medienkompetenz. Mit einem eigenen Smartphone haben sie mehr Freiheiten, aber bei uns gibt es immer noch Jugendschutzeinstellungen und begrenzte Bildschirmzeiten. Und gerade in den ersten Jahren sollten Eltern immer mal wieder Chats mitlesen – nicht um ihre Kinder zu kontrollieren, sondern um ihnen beizubringen, dass digitale Kommunikation nie wirklich privat ist.
