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Familie ist bunt und vielfältig

Mama, Mama, Kind

Mama, Mama, Kind - moderne Familien können bunt und vielfältig sein. © gettyimages/SolStock

Moderne Familienmodelle 

Wir zeigen, dass Familie in den unterschiedlichsten Konstellationen möglich ist und stellen zwei Familien vor. Außerdem haben wir mit der Soziologin Dr. Sabine Diabaté gesprochen. Sie forscht zum Wandel von Elternschaft, Familie und Geschlechterrollen und leitet die Forschungsgruppe „Familie“.

Interview mit der Soziologin Dr. Sabine Diabaté

Portrait von Dr. Sabine Diabaté

Dr. Sabine Diabaté ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. © Peter-Paul Weiler/BiB

alverde: Familie – was bedeutet dieser Begriff überhaupt? 

Dr. Sabine Diabaté: Früher, in den 1950er-Jahren, haben wir den Familienbegriff an der biologischen Verwandtschaft und an der Generationenbeziehung festgemacht. Zu einer Kernfamilie gehörten demnach Mütter, Väter und eines oder mehrere Kinder. Weitere Verwandte wie Großeltern, Tanten und Onkel zählen zur erweiterten Familie dazu. Sogar Haustiere können Familienstatus haben. Auch ohne Kinder definieren viele Menschen mittlerweile eine Partnerschaft von zwei Erwachsenen als Familienform. In der Soziologie kann Familie daher auch breiter definiert heißen: Mindestens zwei Menschen übernehmen Verantwortung füreinander. Es geht dann um eine gelebte Form der Solidarität und Versorgung, die auf Dauer angelegt ist – dafür sind kein romantisches Interesse oder eine biologische Verwandtschaft notwendig. 

„Am wichtigsten ist ein liebevoller Umgang mit dem Kind.“ 

alverde: Kann man diese Gemeinschaften als Modelle benennen? 

Dr. Sabine Diabaté: Ja – das gängigste Modell ist nach wie vor die klassische Kernfamilie – also Mutter, Vater, Kind. Was in seiner Verbreitung zugenommen hat, sind Stief- und sogenannte Fortsetzungsfamilien – also Personen, die bereits ein Kind haben, dieses in eine neue Beziehung mitbringen und mit dem neuen Partner oder der Partnerin erneut Kinder bekommen. Natürlich gibt es auch allein- oder getrennt erziehende Elternteile. Oder gleichgeschlechtliche Familien mit zwei Müttern oder zwei Vätern. Außerdem sind Familien mit Adoptiv- oder Pflegekindern zu nennen. Oder es tun sich Verantwortungsgemeinschaften zusammen wie beim Modell der Co-Elternschaft. 

alverde: Erfahren alternative Modelle zur Kernfamilie heutzutage mehr Akzeptanz innerhalb unserer Gesellschaft? 

Dr. Sabine Diabaté: Während der letzten 20 Jahre war ein deutlicher Wandel zu spüren. Unsere Gesellschaft wird offener und toleranter gegenüber alternativen Formen, insbesondere bei Allein- und Getrennterziehenden und gleichgeschlechtlichen Paaren. Das lässt sich zunächst einmal so erklären, dass es deutlich mehr Menschen gibt, die diese Modelle offen leben. Andere Menschen sind in ihrem Alltag damit konfrontiert und sehen: Diese Familien bewältigen dieselben Herausforderungen wie wir. Die Stigmatisierung alternativer Modelle ist zwar noch nicht gänzlich verschwunden, nimmt aber erfreulicherweise deutlich ab. 

alverde: Erfahren Kinder Nachteile, wenn sie nicht in einer klassischen Kernfamilie aufwachsen? 

Dr. Sabine Diabaté: Nein, denn am wichtigsten ist, dass die Elternteile füreinander und für das Kind da sind und ihm ein stabiles und verlässliches Umfeld und Struktur bieten. Ob die Eltern dabei romantisch miteinander verbunden sind oder nicht, spielt für die Entwicklung des Kindes keine große Rolle. Das wissen wir aus der Trennungs- und Scheidungsforschung. Ein tolles Beispiel dafür ist die Co-Elternschaft. Hier entscheiden sich zwei oder mehr Personen, die gut befreundet sind, für eine gemeinsame Elternschaft. Durch die platonische Verbundenheit kann man eine sehr stabile Gemeinschaft aufbauen. Das schützt natürlich dennoch nicht vor Meinungsverschiedenheiten und Trennung, ist aber eine sehr solide Basis. Im Vorfeld gibt es natürlich ein paar Dinge zu klären: Wie wird die Wohnsituation geregelt? Und wie sieht es mit dem Mitbestimmungsrecht aus, wenn mehr als zwei Eltern involviert sind? 

alverde: Wie werden Familienmodelle der Zukunft aussehen? 
 
Dr. Sabine Diabaté: Es wird ein stärkeres Nebeneinander verschiedener Modelle geben. Auch der demografische Wandel wird neue Erkenntnisse bringen. Die Babyboomer-Generation geht in Rente, es gibt weniger junge Menschen, die sie pflegen können. Ich kann mir vorstellen, dass sich zum Beispiel eine 70-Jährige mit einer jungen Alleinerziehenden zusammentut, um gemeinsam Verantwortung füreinander zu übernehmen. 

Co-Parenting – zwei „teilen“ sich ein Kind 

Christine Wagner mit Familie

Zwei, die ein Kind haben, ohne dass sie in einer Beziehung leben: Christine Wagner und Gianni Bettucci. © Christine Wagner/privat

Am Anfang steht der Kinderwunsch 

Christine Wagner ist Ende 20, als sie mit ihrer damaligen Partnerin beschließt: Wir möchten ein Kind bekommen. „Natürlich hat sich dabei die Frage gestellt, wie wir das umsetzen können. Mir war wichtig, dass das Kind auch mit einem Vater aufwächst“, erzählt die 41-Jährige Ärztin aus Berlin. Die Suche gestaltet sich schwierig: Eine Samenspende kommt aufgrund der Anonymität des Spenders nicht infrage, online gibt es damals keine passenden Vermittlungsplattformen. Auch erste Annoncen bleiben erfolglos. Christine Wagner wird schlussendlich selbst tätig und gründet die Online-Plattform Familyship. Hier können Frauen und Männer miteinander in Kontakt treten, die sich für das Familienmodell Co-Elternschaft interessieren. Das Ziel: Menschen kümmern sich gemeinsam um ein Kind, ohne eine sexuelle Liebesbeziehung miteinander zu führen. 

Eine ganz normale Familie

Obwohl sich Christine Wagner und ihre damalige Partnerin trennen, besteht der Kinderwunsch weiterhin. Über Familyship lernt sie den schwulen Gianni Bettucci kennen, der sich ebenfalls ein Kind wünscht. Ein Jahr lang treffen sich die beiden, unternehmen viel, sprechen über Werte und Wünsche. „Es hat sich gut und richtig angefühlt, mit Gianni ein Kind zu bekommen“, so die Berlinerin. 2013 kommt ihre gemeinsame Tochter zur Welt. 

„Empathie ist der entscheidende Faktor.“ 

Die Eltern teilen sich die Zeit mit ihrer Tochter im wöchentlichen Wechselmodell. Beide Elternteile wohnen in getrennten Wohnungen. Dadurch ist meist auch klar geregelt, wer konkreten Verpflichtungen nachkommt, die unter der Woche anstehen. Besondere Erschwernisse bei diesem Familienmodell sieht Christine Wagner nicht: „Wir haben dieselben Herausforderungen zu bewältigen, wie auch andere Familien. Das können Konfliktpunkte sein wie die Auswahl der Schule oder unter der Woche Zeit für gemeinsame Unternehmungen zu finden.“ 

Christine Wagner zeigt, dass Co-Parenting ein Modell ist, das sehr gut funktionieren kann. „Ich wünsche mir, dass das Rahmenkonstrukt, in dem Familie eingeordnet wird, egal ist. Die Empathie füreinander und die Qualität der Bindung, die man gegenseitig aufbaut, sind entscheidend.“ Mit ihrer Tochter spricht die Familie offen über ihre Konstellation. Sie sagt dazu nur: „Ich finde, wir sind eine ganz normale Familie.“ 

Nina und Stefan adoptieren ein Kind

Nina und Stefan mit ihrem Adoptivsohn

Glücklich: Nina und Stefan mit ihrem Adoptivsohn. © Nina und Stefan/privat

Der 28. Mai 2017 ist der Tag, an dem Nina und Stefan einen Entschluss fassen. Den Entschluss, mit dem Wunsch eines leiblichen Kindes abzuschließen und einen neuen Weg zu gehen. Mehr als acht Jahre gelingt es den beiden nicht, sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen. „Das war der ausschlaggebende Moment, in dem wir dann beschlossen haben, dass wir adoptieren möchten“, erzählt Nina. Es folgt die erste Kontaktaufnahme zum örtlichen Jugendamt, denn im Vorfeld gibt es einige Dinge zu klären. „Zunächst einmal mussten wir sogenannte Lebensberichte schreiben. Das sind Einblicke in unsere eigene Kindheit, unsere Wohnsituation, unser Leben als Paar. Das Jugendamt prüft damit vor einer Adoption, ob wir in der Lage sind, ein Kind großzuziehen“, sagt die junge Frau. Zudem müssen sich die beiden von einem Arzt ihre körperliche und psychische Gesundheit attestieren lassen. Im Anschluss folgen Einzelgespräche mit einer Beraterin im Jugendamt zu den Lebensberichten. „Ich war wahnsinnig nervös“, erinnert sich Nina. „Doch das Gespräch verlief entspannt, auf Augenhöhe und nahm mir anfängliche Ängste.“ 

Nun heißt es: warten auf das Adoptivkind 

Halbjährlich folgen Hausbesuche vom Jugendamt. Hier wird geklärt, ob berufliche Veränderungen des Paares anstehen und welche Gefühle und Gedanken während der Wartezeit hochkommen. „Außerdem hat man die Möglichkeit, über das Profil des Kindes zu sprechen.“ Das können beispielsweise die Herkunft oder die Vorgeschichte des Kindes sein. Diese Faktoren haben für Nina und Stefan allerdings keinerlei Rolle bei ihrer Entscheidung gespielt. Die beiden betonen, dass es bei der Adoption nicht darum geht, das passende Kind zu finden, sondern die richtigen Eltern und ein liebevolles Zuhause. In der Stadt, in der das junge Paar wohnt, werden pro Jahr im Durchschnitt ein bis zwei Kinder zur Adoption freigegeben. Wie lange das dauert, kann niemand genau sagen.

So vergehen ein Jahr und acht Monate, bis 2019 endlich das Telefon klingelt. „Als es so weit war, war ich so aufgeregt wie noch nie in meinem Leben“, erzählt Nina. „Wir wurden gefragt, ob wir den kleinen Jungen direkt kennenlernen möchten, der aktuell noch auf der Frühgeborenenstation im Krankenhaus lag. Wir haben sofort mit ,Jaʻ geantwortet.“ Die erste Begegnung war für das Paar ein magischer Moment. Da lag das kleine Baby, das Teil ihrer Familie werden sollte. „Es fühlte sich zu keinem Zeitpunkt fremd an. Ich verspürte in diesem Moment nur noch tiefe Dankbarkeit. Unser Sohn hat zu diesem Zeitpunkt unsere Herzen schon längst erobert.“ 

„Nach fast zwei Jahren kam endlich unser kleiner Sohn zu uns.“ 

Es beginnt eine aufregende Kennenlernphase: Nina nimmt sich Elternzeit, denn das steht Adoptiveltern regulär zu. „Wir haben die Zeit zu dritt wahnsinnig genossen“, schwärmt die junge Mutter. „Es ist schön, einem Kind ein liebevolles Zuhause geben zu können.“ Daran wollen Stefan und Nina anknüpfen: „Aktuell warten wir auf den zweiten Anruf vom Jugendamt.“ 

Insta-Tipp:  
@ninananunana