Hier hat’s Klick gemacht

Selbst zu gründen erfordert Beharrlichkeit und Selbstvertrauen. ¹⁾
Im Interview mit vier Gründerinnen und Gründern
Eine Idee, die elektrisiert – so beginnt für viele der Weg in die Selbstständigkeit. Doch was passiert, wenn aus der Vision ein Unternehmen wird, mit Produkten, Verantwortung und Videocalls? Wie verändert sich der Alltag, wenn man nicht mehr nur träumt, sondern liefert? alverde hat mit vier Gründerinnen und Gründern, deren Produkte mittlerweile im dm-Regal stehen, gesprochen: über Aha-Momente, lange Arbeitszeiten und die Kunst, Bauchgefühl und Businessplan in Einklang zu bringen.
Nippli – Sichtschutz mit Selbstvertrauen
Weil sie mit den Brustwarzenabdeckungen anderer Anbieter gar nicht zufrieden war, brachte Miriam Weilmünster 2022 ihre eigenen Nippelcover auf den Markt. Dabei ist nippli schon das zweite Unternehmen der heute 25-Jährigen.
alverde: Wurde Ihnen das Gründen in die Wiege gelegt?
Miriam Weilmünster: Ich hatte schon als Kind den Wunsch, später unabhängig zu sein – auch finanziell. In meiner Familie mussten wir jeden Cent zweimal umdrehen. Mir war klar: muss ich’s selbst aufbauen.
alverde: Und warum nicht erst mal eine Ausbildung?
Miriam Weilmünster: Ich wusste nicht so richtig, was zu mir passt, und in der Pandemie war es noch schwieriger, etwas zu finden. Ich habe mich kurzerhand als Lash-Stylistin selbstständig gemacht und war damit so erfolgreich, dass ich eine Ausbildungs-Akademie gegründet habe. Zusätzlich habe ich einen Onlineshop für falsche Wimpern gestartet, aber der war ein Flop.
alverde: Aber Sie ließen sich nicht entmutigen?
Miriam Weilmünster: Nein, denn ich habe dadurch unglaublich viel gelernt, von TÜV-Anforderungen bis zur Produktzulassung. Ein Crashkurs im Gründen sozusagen. Ich brauchte nur noch die richtige Idee – und die lieferten mir schlecht sitzende Nippelcover.
alverde: Was lief mit nippli anders?
Miriam Weilmünster: Es ist auch ein Herzensprojekt, aber ich habe vorher eine Marktanalyse gemacht und festgestellt, dass es eine Lücke gibt: Nippelcover, die sich nicht abzeichnen, nicht jucken und auch noch wiederverwendbar sind.
alverde: Die größte Herausforderung bisher?
Miriam Weilmünster: Ein Team aufzubauen, ich musste herausfinden, wobei ich Hilfe brauche und wer mich unterstützen kann. Für mich als Selfmade-Frau gar nicht so einfach. Aber jetzt bin ich froh über die Entlastung und die gute Zusammenarbeit.
alverde: Wie gehen Sie mit der Verantwortung um?
Miriam Weilmünster: Nicht verrückt machen lassen. Natürlich gibt es mal schlaflose Nächte, aber ich habe Vertrauen in meine Ideen. Ich habe mit nippli noch einiges vor und will langfristig eine starke Marke rund um die Brust aufbauen.
Unsichtbar – Medizinisches Silikon
Nippelcover sind Pads, die verhindern, dass sich Brustwarzen unter der Kleidung abzeichnen. Das Material, medizinisches Silikon, ist speziell für die Verwendung am Körper konzipiert. Anders als herkömmliche Cover, bei denen das Silikon zwischen Folien gespritzt wird, wird es bei nippli gestanzt – das macht ihre Cover fast unsichtbar.

Miriam Weilmünster, Gründerin von nippli © Nippli
Pumpkin Organics – Kindersnacks mit Kompetenz
Zwei kritische Tester für ihre gemüsebasierten Snacks hat Jaclyn Schnau inzwischen in ihrer eigenen Familie. Die Marke für Babys und Kleinkinder gründete sie bereits 2016 – noch bevor sie selbst Mutter wurde.
alverde: Warum Babynahrung?
Jaclyn Schnau: Ich habe in der Lebensmittelbranche gearbeitet – ich liebe Essen, aber nicht die Art, wie viele Produkte hergestellt werden. Zu viel Quantität statt Qualität. Als ich selbst gesundheitliche Probleme hatte, habe ich mir viel Ernährungswissen angeeignet. Und bei Kindern ist Ernährung noch wichtiger, denn Gehirn, Geschmack und Gewohnheiten werden in den ersten 1.000 Tagen geprägt. Meine Mission: Kinder sollen sich in Gemüse verlieben.
alverde: Fiel das Gründen als Kanadierin leichter?
Jaclyn Schnau: Unser Mindset ist ähnlich wie das der US-Amerikaner. Ich sehe aber auch bei den Menschen in Deutschland ein riesiges Potenzial. Aber die Bürokratie und zu viele Lücken in der Kita-Infrastruktur machen es schwer.
alverde: Welche Lösung haben Sie für Ihre Familie gefunden?
Jaclyn Schnau: Ich arbeite bis 15.30 Uhr, manchmal auch noch abends. Dazwischen bin ich 100 Prozent Mutter. Ich glaube, kaum jemand arbeitet so effizient wie Mütter von kleinen Kindern. Man kann nicht länger bleiben und einem Zweijährigen sagen: „Sorry, Du musst Deine Windel allein wechseln.“
alverde: Wie wichtig ist das Team?
Jaclyn Schnau: Extrem wichtig. Das habe ich gemerkt, als mein Mann während meiner ersten Schwangerschaft ins Unternehmen einstieg. Endlich hatte ich einen Sparringspartner. Heute sind wir ein kleines Team, in dem jeder Verantwortung übernimmt.
alverde: Ein Start-up-Mythos, mit dem Sie aufräumen möchten?
Jaclyn Schnau: Dass man sich auf jedem Start-up-Event zeigen und täglich auf LinkedIn posten muss. Man kann als Gründerin leise sein und sich auf sein Unternehmen konzentrieren.
alverde: Und welche Start-up-Regel stimmt hundertprozentig?
Jaclyn Schnau: „Cash is King.“ Wenn man die Finanzen nicht im Blick hat, ist es vorbei.
alverde: Wie sieht Ihre Arbeit in zehn Jahren aus?
Jaclyn Schnau: Ich sehe mich dann weniger im Tagesgeschäft, dafür als Botschafterin für gesunde Kinderernährung.
Praktische Tipps – Kids-Ernährungs-Summit
Seit 2022 veranstaltet Pumpkin Organics einen jährlichen Kids-Ernährungs-Summit. Dort teilen Experten kostenlos und digital ihr Wissen und geben praktische Tipps rund um gesunde Kinderernährung.
Jaclyn Schnau – Gründerin von Pumpkin Organics © Pumpkin Organics
nucao – Schokolade mit Systemwechsel
Mathias Tholey merkte am Ende seines Wirtschaftsingenieurstudiums, dass sein Herz eher für Ernährung schlägt als für Energie oder Autos. 2016 gründete er mit zwei Kommilitonen nucao.
alverde: Was verstehen Ingenieure von Schokolade?
Mathias Tholey: Die Ingenieur-Denke hilft: Wir hinterfragen Prozesse, auch beim Kakaoanbau. Die sozialen und ökologischen Folgen wollten wir anders lösen – mit Schokolade, die man mit gutem Gewissen essen kann.
alverde: Wie war der Anfang?
Mathias Tholey: Den ersten Riegel haben wir zu Hause in unserer Küche kreiert. Dann gewannen wir einen Start-up-Wettbewerb, erweiterten unser Sortiment – und haben uns verzettelt. Der klassische Start-up-Fehler. Wir mussten uns neu aufstellen: nur noch Schokolade mit verbesserter Rezeptur und in neuer Gestaltung.
alverde: Ein schmerzhafter Prozess?
Mathias Tholey: Sehr. Wir mussten viele Mitarbeiter entlassen. Das war schlimm, weil wir zu den meisten ein persönliches Verhältnis hatten. Aber wir mussten aufs große Ganze schauen.
alverde: Wo stehen Sie heute?
Mathias Tholey: Der Relaunch ist geglückt. Wir bringen nur neue Produkte heraus, wenn wir hundertprozentig überzeugt sind. Das Team wächst wieder – vorsichtiger. Herausforderungen gibt es dennoch genug: Aktuell kämpfen wir mit Rohstoffproblemen durch den Klimawandel.
alverde: Wie gehen Sie mit Belastung um?
Mathias Tholey: Ich habe zwei Aufgabenbereiche an Kollegen abgegeben, die sie heute besser ausfüllen als ich. Das gibt mir Freiraum, nucao strategisch weiterzuentwickeln. Dennoch arbeite ich 50 bis 60 Stunden pro Woche.
alverde: Wie halten Sie das durch?
Mathias Tholey: Ich habe mir den Arbeitsplatz maximal schön gemacht und arbeite mit tollen Menschen zusammen – ein großer Teil des Soziallebens findet bei Gründern im Start-up statt. Und ich kenne das „Wozu“. Wenn es nur ums Schokoladeverkaufen ginge, würde ich das nicht machen.
Waldähnlich – Agroforst
Ein Großteil des nucao-Kakaos stammt aus Agroforst. Bei dieser Anbauform wächst Kakao in waldähnlichen Anbaugebieten – für mehr Biodiversität und Bodengesundheit. Bis Ende 2025 soll das gesamte Sortiment Naturland*-zertifiziert sein.
*naturland.org
Mathias Tholey, Gründer von nucao © the nu company GmbH
Oyess – Lippenpflege mit langer Vorgeschichte
Zu Beginn der Coronapandemie erhielt Anna Breidt die betriebsbedingte Kündigung. Zusammen mit ihren ehemaligen Kollegen Nadja King und Frank Hoffmann gründete sie Oyess, das mit Lippenpflege an den Start ging und nach und nach sein Sortiment erweitert.
alverde: War das Gründen ein heimlicher Traum?
Anna Breidt: Ich war offen für Selbstständigkeit, habe nebenbei gecoacht. Aber ohne diese Ausnahmesituation – die Kündigung und das langjährige Vertrauensverhältnis zu meinen beiden Mitgründern – wäre es nicht passiert.
alverde: Und warum Lippenpflege?
Anna Breidt: Das war ein Bereich, in dem wir uns durch unsere vorherigen Jobs sehr gut auskannten. Die Erfahrungen und das Netzwerk aus unserer Arbeit für große Konzerne waren sehr hilfreich. Fünf Monate nach der Gründung waren wir schon im Drogeriemarktregal.
alverde: Das klingt rekordverdächtig – und nach durchgearbeiteten Nächten.
Anna Breidt: Ja, die digitalen Meetings waren oft spätabends, wenn die Kinder schliefen. Wäre nicht die Pandemie gewesen, hätten wir uns für zwei Wochen irgendwo eingeschlossen und alles durchgeplant.
alverde: Was machen Sie bewusst anders als bei Ihren vorherigen Stellen?
Anna Breidt: Unsere Meetingkultur ist fokussierter, die Arbeitszeit flexibler. Wir sind ein sehr kleines Team und arbeiten alle zu Hause, denn wir wohnen weit entfernt voneinander. Aber mindestens einmal im Monat treffe ich mich mit den Mitgründern. Wir wägen ab, was remote besser klappt und wofür wir uns sehen müssen.
alverde: Wie sieht es aus mit der Work-Life-Balance?
Anna Breidt: Es gibt eigentlich keinen Tag, der komplett arbeitsfrei ist. Trotzdem achte ich auf feste Auszeiten. Meinen Sport lege ich mir beispielsweise oft in die Mittagszeit – dann muss ich Pause machen. Und morgens ist das Matchatrinken mit meiner Familie ein festes Ritual.
alverde: Wie sieht Ihre Arbeit in zehn Jahren aus?
Anna Breidt: Ich mag die Kreativität und den Veränderungswillen in der Start-up-Welt. In diesem Universum möchte ich gerne bleiben.
Monomaterial – Recycling
Die Oyess Lippenpflege besteht aus Monomaterial. Deshalb ist die Verpackung besonders gut zu recyceln.
Anna Breidt, Gründerin von Oyess © Daniel Sommer
