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Claudia Servais pflegt ihre Mutter

Foto von Claudia Servais mit ihrer Mama

Claudia Servais häkelt für Demenzkranke. Ihre demente Mutter Helga Servais probiert alles zuerst an. © Simon Koy

Willi Weitzels Mutmachgeschichte

Als ihre Mutter nach einem Schlaganfall dement wurde, krempelte Claudia Servais ihr Leben um – und strauchelte selbst fast dabei. Heute spickt sie jeden Tag bewusst mit kleinen Glücksmomenten für sich und ihre Mutter und stellt kreative Wollarbeiten für Demenzkranke her, die sie spendet. Willi hat mit ihr gesprochen.

Das Leben nimmt mitunter tragische Wendungen. Etwa, wenn die eigene Mutter plötzlich dement und pflegebedürftig ist, wie bei Claudia Servais. In meiner Mutmachgeschichte stelle ich diesmal die 60-jährige Diplom-Sozialpädagogin aus Bad Reichenhall vor. Sie strahlt eine große Lebensfreude und Tatkraft aus. Claudia hat aus ihrer persönlichen Situation das Beste gemacht und unterstützt zudem andere, die von Demenz betroffen sind.  

Dem Thema Demenz habe ich mich über das Buch „Stay away from Gretchen“ (siehe meinen Buch-Tipp unten) angenähert. Im Verhältnis von Mutter und Tochter Servais schwingt auch ein wenig Vergangenheitsbewältigung mit. „Wir hatten früher keinen guten Draht“ – umso glücklicher ist Claudia heute, eine ganz andere Seite ihrer Mutter kennenzulernen, die durch die Demenz zu einer unbeschwerten, lieben und fröhlichen Person wurde: „Sie war früher eine Diva. Heute ist sie warmherzig und fürsorglich. Wenn sie mich in den Arm nimmt und sagt: ‚Ach wie schön, dass ich Dich hab!‘, geht mir das runter wie Öl.“ 

Die Wertschätzung fürs Leben neu finden

Doch beginnen wir von vorne: Als Claudia im Dezember 2019 ihre Mutter am Boden liegend findet, denkt sie: „Jetzt ist alles vorbei.“ Schlaganfallstation, acht Wochen Reha. Was sich zuvor schon abzeichnete, ist Gewissheit: Ihre Mutter ist dement – mit Begleiterscheinungen wie Inkontinenz und eingeschränkter Mobilität. Anfangs bekommt Claudia den Spagat hin, verbindet die Betreuung der Mutter mit ihrer Berufstätigkeit, schläft zeitweise bei ihr auf einer Luftmatratze. Doch dann zerbricht sie fast an der Doppelbelastung: Burn-out, Freistellung. Sie sucht sich selbst Hilfe. 

„Das ist ein sehr wertvoller Tipp, den uns Claudia Servais gibt: Sich immer wieder kleine Auszeiten und Momente zu schaffen, um Kraft zu schöpfen. Auch ich als Vater fühle mich da angesprochen.“ Willi Weitzel

Spielzeughund auf grünem Häkelteppich

Jede Armmanschette für Demente von Claudia Servais ist ein Unikat. © Simon Koy

 „Im Zusammensein mit meiner Mutter lerne ich die Wertschätzung fürs Leben neu,“ sagt sie. „Es ist wichtig, sich den Blick für kleine Dinge zu bewahren und sich daran zu freuen. Dass die Sonne scheint, wie die Natur nach dem Regen duftet, die Grünspechte im Garten. Sich kleine positive, kraftspendende Momente schaffen und sich nicht an einer vollen Hose aufhalten, sondern schauen, dass auch die Mutter immer einen schönen Tag hat. Ich sage dann, schau mal, die Sonne scheint, ich hole uns ein Eis.“ Claudia Servais trägt ein Tattoo mit dem Schriftzug: „Things can only get better“ (Es kann nur besser werden) nach einem Lied von Howard Jones, das zu ihrem Lebensmotto wurde. 

DIY-Arbeiten für Menschen mit Demenz

Auf Facebook hat Claudia Gleichgesinnte gefunden, die demente Angehörige pflegen. „Wir geben uns gegenseitig Tipps und Informationen weiter,“ erzählt sie. „Ich musste selbst zur Pflegefachfrau werden und habe dafür wie eine Spinne Netzwerke geschaffen.“ Sie machte die Wohnung der Mutter pflegetauglich, behält aber ihre Wohnung als Rückzugsmöglichkeit bei. Tagespflege und Mini-Jobber entlasten die Tochter. Um an den Abenden etwas Sinnvolles zu machen, strickt und häkelt Claudia. Aus Wollresten, Glöckchen, Tierfiguren und Knöpfen werden bunte Manschetten, Muffs und Rollstuhldecken, die die ruhelosen Hände Demenzkranker beschäftigen und beruhigen und die sie bundesweit an Pflegeheime spendet. 

Buch-Tipp 

„Stay away from Gretchen“ von Susanne Abel: Eine tragische Familiengeschichte, die durch die Demenz einer alten Dame zutage kommt. dtv-Verlag, 544 Seiten, 13 Euro

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