Demokratie und politische Bildung

Dr. Martina Weyrauch: Politische Bildung beginnt jeden Morgen wieder neu. Jeden Tag müssen Menschen ermutigt werden. © Andreas Müller
Dr. Martina Weyrauch im Interview
Dr. Martina Weyrauch, Leiterin der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung, hat ein offenes Ohr für die Ängste der Menschen. Ihre Arbeit besteht vor allem darin, Bürgerinnen und Bürger auf unterschiedlichsten Wegen (Veranstaltungen, Publikationen, Ausstellungen, Wettbewerbe, Social Media) nahezubringen, „wo und wie sie sich einmischen können oder auch einmischen sollen, weil sonst die Demokratie nicht funktioniert“, erklärt Martina Weyrauch. In Brandenburg macht sich Demokratieverdrossenheit und ein Gefühl des Abgehängtseins breit. „Ich möchte den Menschen helfen, konstruktiv mit ihrem Ärger und Groll umzugehen“, sagt die gebürtige Berlinerin. Weit über ihre Aufgabe hinaus, politische Bildung voranzubringen, ist sie eine Seelsorgerin in Sachen Demokratie.
Das Gespräch suchen
„Besonders durch die sozialen Medien kommen Emotionen ungefiltert bei mir an.“ Doch das sieht sie als Chance: „Ich betrachte jeden Anruf, Brief und jede E-Mail mit persönlichen Meinungsbekundungen als Kompliment, denn da haben die Leute sich noch nicht abgewandt.“ Martina Weyrauch antwortet allen. „Ich merke, dass oft nicht die politischen Inhalte das Problem sind, sondern dass der Mensch, der mir schreibt, ein Problem hat“, sagt sie. Ihr Rezept: ein Gespräch anbieten und zuhören. Um dem gerecht zu werden, hat sie ein Studium der Mediation absolviert.
Misstrauen wirkt fort
„Die meisten Menschen wollen mitmachen. Wenn sie aber nicht verstehen, worum es in der Politik geht, vermuten sie, dass es gegen sie geht“, erklärt Martina Weyrauch die „größere Empfindlichkeit der Ostdeutschen“. Die kann sie gut nachempfinden: „Kinder in den 90er-Jahren erlebten ihre Eltern und Großeltern völlig hoffnungs- und orientierungslos. Wenn sich über Nacht alle Gesetze, alle Rahmenbedingungen ändern und praktisch alle die Arbeit verlieren, dann ist das unheimlich schwer“ – und das wirkt fort, bis heute. 1958 in Ost-Berlin geboren, begann Martina Weyrauch mit 17 Jahren, als Jugendbeistand junge Straftäter bei Gericht zu unterstützen. Das lag ihr. Bevor sie Rechtswissenschaften studieren durfte, musste sie einen „ordentlichen Beruf“ erlernen und sich „in die werktätige Bevölkerung hineinversetzen“. Sie wurde Kleidungsfacharbeiterin und nähte in einer Fabrikhalle im Akkord. Zum Studium bezog sie mit 20 eine winzige Kellerwohnung – lebte in einfachen Verhältnissen, sang in einer Chansongruppe. Im Alltag war sie zufrieden, aber vom DDR-System fühlte sie sich eingeengt.
Aktiv für Demokratie
Als promovierte Juristin war Martina Weyrauch 1989/90 im Gegensatz zu vielen anderen am Umstrukturierungsprozess beteiligt. Unter dem ersten demokratisch gewählten und letzten Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizière, war sie Referentin für völkerrechtliche Fragen der deutschen Einheit. Sie bildete sich in westdeutschem Recht fort und war später persönliche Referentin des Brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe. Als „Ost-Frau“ erlebte sie, wie ihre Kompetenz bei der Bewerbung zur Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung infrage gestellt wurde: Die konkurrierenden „West-Männer“ klagten vor Gericht gegen ihre Berufung. Doch sie setzte sich durch. Martina Weyrauch will ein Buch schreiben: „Es soll lustig werden. Ich bin ein humorvoller Typ und finde, es war eine grandiose Zeit, wenn auch schwer. Wenn so verschiedene Gesellschaften aufeinandertreffen, passiert auch viel Lustiges.“ Humor ist seit jeher ihr persönlicher Schutzschild.


