HauptnavigationKategorienavigationHauptinhalt

Ungewollt kinderlos

Leere Schaukel mit Laubblatt

© iStock/Eisenlohr

Franziska Ferber ist seit sechs Jahren Coachin für Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch. Wie sich das anfühlt und was es mit einem macht, Monat für Monat aufs Neue zu hoffen, schwanger zu werden – und das oft jahrelang, weiß sie aus eigener leidvoller Erfahrung. Im glückskind-Interview erzählt sie ihre Geschichte.

Sie versuchten vergeblich schwanger zu werden. Ab welchem Moment merkten Sie, wir brauchen Unter­stützung?
Mein Mann und ich hatten schon vor unserer Hochzeit beschlossen, dass ein Kind willkom­men ist. Aber es klappte und klappte und klappte nicht. Am Anfang waren wir noch relativ entspannt und dachten: „Wird schon! Vielleicht soll’s ja erst nach der Hochzeit sein.“ Dann haben wir nach fast einem Jahr in Betracht gezogen, dass es bei uns eine medizinische Indikation geben könnte, und sind in die Kinder­wunsch­klinik gegangen. 

Wie hat sich die Kinder­wunsch­behand­lung für Sie angelassen? 
Es kam heraus, dass es auf natürlichem Wege überhaupt keine Chance für uns gab, ein Kind zu bekommen, und dass wir auf die sogenannte ICSI (kurz für: Intra­cyto­plas­matische Spermien­injektion) angewiesen waren. Auch aufgrund der Aussagen der Ärzte stellten wir damals nicht infrage, dass es nicht klappen könnte. Wir dachten nur: Wir müssen halt einen Umweg nehmen. So gingen wir hoffnungs­voll in diese Kinder­wunsch­behand­lung rein.


Foto von Franziska Ferber

Mit dem Kinderwunsch und dem ungewollt kinderlosen Leben beschäftigt sich Franziska Ferber seit vielen Jahren privat und beruflich. Sie ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF). © Lisa-Marie Schmidt

Franziska Ferber

Was genau passiert bei einer ICSI-Behandlung?
So eine ICSI beinhaltet eine intensive Hormon­behand­lung, konti­nuierliche Termine in der Klinik, um zu kontrollieren, ob die Hormone anschlagen, und wenn ja, in welchem Maß – bis hin zu dem Tag, den viele als Operation bezeichnen, ich aber nicht: Da werden die Eizellen punktiert und aus dem Unterleib abgesaugt. Sie werden befruchtet und dann wieder eingesetzt. Das ist ein sehr, sehr intensiver Eingriff, körperlich, aber auch seelisch. Diese enorme Belastung hält man nur durch, weil man hofft, dass es sich am Ende lohnt. Dass man schwanger wird und sein Kind bekommt. 

Wie verlief die Behandlung für Sie?
Wir haben drei ICSI-Behand­lungen gemacht – die dann aber auch entgegen der Erwartung der Ärzte – katastrophal verliefen. Am Ende hatten wir über 50 Eizellen über die Versuche hinweg und nur eine einzige, die sich befruchten ließ – und auch mit dieser hatten wir keinen Erfolg. Diese Ergebnisse haben uns den Boden unter den Füßen weggezogen. Es ging mir auch körperlich sehr schlecht. Ich hatte mehrere Über­stimu­lationen. Das sind Über­reaktionen auf die Hormone, mit denen man versucht, deutlich mehr Eizellen zu generieren als in einem normalen Zyklus. Eine Eizelle kurz vor dem Eissprung ist circa 2 cm groß. Bis zu 20 Eizellen auf einmal im Bauch zu haben fühlt sich nicht so gut an, weil diese Eizellen Platz brauchen. Ich sah zeit­weise aus wie im sechsten Monat. Und wenn die Eier­stöcke über­reagieren, verursacht das ziemliche Schmerzen und Neben­wirkungen wie Wasser im Bauch­raum, schlimmsten­falls auch in der Lunge. Und dann kann es wirklich kritisch werden – wie bei mir.

Was passierte bei Ihnen? 
An einem Sonntag wollte ich in der Küche Kaffee kochen und bin ohne Ankün­digung ohnmächtig geworden, stützte unglück­lich und brach mir den Kiefer. Der erste Gedanke in der Klinik ging in Richtung Gehirntumor oder ähnliches als Ursache. Die Ärzte kamen dann aber zu dem Schluss, dass mein Körper wahr­scheinlich durch die jahre­langen Hormon­un­ver­träg­lich­keiten einfach nicht mehr konnte. Das war der Moment, in dem uns klar war, was wir für einen enormen Preis für diese Kinder­wunsch­behand­lung zahlen.

Sie beendeten die Behandlung. Wie ging es Ihnen damit?
Ja, das war dann der Moment, in dem wir entschieden haben, dass es nicht gut ist, sein eigenes Leben so aufs Spiel zu setzen, in der Hoffnung, schwanger zu werden. Wenn sich nach mehreren Jahren herausstellt, es war umsonst, dann ist das ein Gefühl, das einen auch an Grund­werten wie Gerechtig­keit zweifeln lässt. Das rüttelt an den Grund­festen unseres Seins.

Sie haben als Frau durch die Hormon­einnahme die Hauptlast getragen, was hat das mit Ihnen als Paar gemacht?
Mein Mann hat sehr genau wahrge­nommen, was das mit mir macht, wie ich leide und kämpfe. Aber man muss der Fairness­halber sagen: Auch für Männer ist so eine Kinder­wunsch­behand­lung nicht witzig. Wenn sie in so ein Kämmerchen geschickt werden und von ihnen erwartet wird, dass sie mit einem Becher wieder rauskommen, dann ist das auch für einen Mann eine ziemliche Druck­situation. Wenn dann noch das Be­wusst­sein dazu kommt, meine Frau macht das zwar alles, aber ich kann ihr eigentlich gar nicht helfen, belastet das einen Mann auch sehr. 

Wie war die Reaktion von der Familie und Freunden?
Die wussten alle gar nichts davon! Im Gegenteil. Wir waren mit die ersten im Freundes­kreis, die geheiratet haben. Und wenn wir merkten, dass jemand erwartete, dass wir jetzt bald die frohe Botschaft einer Schwanger­schaft verkünden würden, dem hatten wir sehr strate­gisch vorge­baut und erzählten zum Beispiel: Ich habe gerade ein ganz spannendes Projekt in der und der Stadt. Ich war damals in einer Unter­nehmens­beratung. Ab einem gewissen Punkt weihten wir unsere Eltern ein, die auch sehr an unserer Seite waren, aber letzten Endes auch nichts anderes tun konnten als mit uns zu hoffen. Nach außen eine Fassade aufzu­bauen ist hart, wenn man eigentlich sonst seine Themen gerne bespricht und dadurch auch Entlastung findet. 

Was war Ihre Befürchtung?
Am Anfang hatte ich das Gefühl wir scheitern, wir sind nicht gut genug. Und damit geht man ja nicht so gerne hausieren. Später habe ich verstanden, dass Kinder­kriegen nichts mit Können zu tun hat, dass es nicht um Leistung geht. Und wenn es nicht klappt, kann es nicht um persön­liche Schuld gehen. Trotzdem, wenn man offen darüber spricht, kommen jede Menge Reaktionen und gut gemeinte Ratschläge. Ich hatte nicht die Kraft, mich damit auch noch ausein­ander­zusetzen. 

Wie sollte die richtige Unter­stützung aus­sehen? 
Man sollte sich ganz bedeckt halten, was vermeint­lich gute Ratschläge angeht. Ich glaube auch, dass es nicht hilfreich ist, das zu tun, was in anderen Situatio­nen hilft, nämlich Mut zuzu­sprechen. Ein „Das wird schon!“ geht am Ziel vorbei. Was helfen kann, ist das betroffene Paar oder die betroffene Frau zu fragen, was kann ich für Dich tun? Also wirklich an der Seite stehen, ohne Ratschläge zu erteilen, Wärme zu geben, Unter­stützung zu signalisieren, da zu sein, das ist es glaube ich, was ein betroffenes Paar braucht, weil die meisten sich in dieser Zeit sehr einsam fühlen.

Was haben Sie mit Ihrem Kinderwunsch verbunden?
Ich glaube, wer sich ein Kind wünscht, der muss das gar nicht begründen, das ist etwas zutiefst Menschliches. Wer den Wunsch einmal wahr­genom­men hat, tut sich schwer, ihn wieder aufzugeben. Ein Kinder­wunsch hat aber ganz oft etwas mit der eigenen Persön­lichkeit zu tun. Ich bin jemand, der sich sehr um andere Menschen kümmert. Und als ich dann wieder und wieder nicht schwanger wurde, dann war es für mich ein Gefühl der doppelten Strafe: Kein Kind und wieder niemand, um den ich mich kümmern kann. Da ist jede Schwanger­schafts­meldung sehr, sehr hart. Weil es einen wie so einen Spiegel vor Augen hält, dass man es auch so gerne hätte. Ich war nie neidisch auf meine Freundinnen, aber sie starten mit einem Kind ein Stück weit in ein anderes Leben, die Rhythmen, Themen und Interessen verändern sich. Da ist es sehr schwer, Freund­schaften weiter zu pflegen. 

Tipp: Ich würde jeder jungen Mutter, die eine Freundin hat, die ungewollt kinderlos ist, ans Herz legen, sich Zeitfenster zu schaffen, und sei es nur eine halbe Stunde, in der sie wirklich Zeit und die ungeteilte Aufmerk­sam­keit für diese kinder­lose Frau hat und das Baby nicht dabei ist.

Wie haben Sie gelernt mit Ihrer Kinder­losig­keit umzugehen?
Ich habe mich lange wie ein unfair behan­deltes Opfer gefühlt. Es hat eine Weile gebraucht zu verinner­lichen, dass ich ja trotzdem ein total wertvoller Mensch bin. Dass ich nicht weniger wert bin, weil ich kein Kind bekommen konnte. Als ich das verstanden hatte, da haben sich mir Türen geöffnet. Auf welche Art und Weise kann ich mich trotzdem einbringen? Was erfüllt mich trotzdem? Das ist nichts, was man inner­halb weniger Wochen sortiert hat, sondern ein langer Prozess. Wir denken immer Kinder­wunsch sei etwas Medizinisch-Technisches –  wie ein gebroch­enes Bein, das man eingipst und dann heilt es. So ein elementares Thema wie Familien­gründung hat auch eine sehr große psychische Kompo­nente. 

Sie wurden Coachin für Frauen mit unerfüll­tem Kinder­wunsch, wie kam es dazu?
Das nahm ich mir tatsächlich schon während der Kinder­wunsch­behand­lung vor, weil ich merkte, wie belastet ich war und wie heftig diese Erfahrungen sind. Ich suchte damals vergeblich nach Unter­stützung. Ich sagte mir, wenn ich da irgendwie psychisch gesund rauskomme, dann schaffe ich dieses Angebot, was ich gebraucht hätte. Es hat dann schon noch Jahre gedauert, weil ich meine eigene Geschichte erst mal verar­beiten musste. Ich traf für mich die Entscheidung, eine drei­jährige fundierte, vom Dach­verband Deutsche Gesellschaft Systemische Beratung und Familien­therapie zertifizierte Ausbildung zu machen. 

Wie haben Sie es geschafft, den eigenen Kinder­wunsch loszulassen, um als Coachin anderen Frauen helfen zu können?
Ich fühle sehr mit den Frauen mit, die sich an mich wenden, weil ich genau weiß, wie sich das anfühlt. Ich begleite sie während der Phase des Kinder­wunsches genauso wie beim Abschied­nehmen. Ich weiß, wie es den betroffenen Frauen geht, und das lässt mich natürlich nicht kalt. Aber ich habe tiefen Frieden damit geschlossen, dass mein Mann und ich kinderlos sind. Wenn ich viele Kinderwagen sehe und Frauen mit dicken Bäuchen, nehme ich das zur Kenntnis, aber es verletzt mich nicht mehr. 

Viele Paare haben bereits ein Kind, wünschen sich sehnlichst noch ein Geschwister­kind, es klappt aber nicht. Was raten Sie Betroffenen?
Ich erlebe, dass es für diese Frauen fast noch schlimmer ist, wenn ihr Wunsch nach einem Geschwister­kind unerfüllt bleibt. Die Gesellschaft sagt diesen Frauen ganz oft, wenn sie drüber reden: „Stell dich doch nicht so an, sei doch mal dankbar für das was du schon hast.“ Meine Antwort darauf ist: Diese Mutter muss ja dankbar für das sein, was sie schon hat, sonst würde sie sich ja kein zweites Kind wünschen! Daraufhin erlebe ich das erste große Aufatmen bei den Frauen. 

Wie lange nimmt ein Coaching in Anspruch? 
Das ist total unterschiedlich. Ich habe Frauen, mit denen telefoniere ich einmal anderthalb Stunden und da platzt ein Knoten. Und ich habe Frauen, mit denen ich über Jahre immer wieder arbeite. Für mich haben sich begleitete Online-Kurse bewährt, die aus mehreren Lektionen bestehen. Die Frauen bearbeiten nach und nach in Ruhe ihre Themen mit meiner Begleitung. Es ist ein klar strukturierter Prozess und das ist es, was ihnen oft so gut tut. Dass sie sich nicht alles selbst überlegen müssen. Manche Kurse dauern vier Wochen. Zum Beispiel zum Thema Neid. Wie gehe ich damit um, wenn meine Freundinnen alle schwanger werden? Das Ziel: Dass die Frau anschließend raus geht und diesen Neid zur Seite stellen kann. Wenn es um Abschied­nehmen geht, dauert das Coaching in der Regel etwa ein Dreivierteljahr. 

Was brennt Ihnen noch unter den Nägeln zu sagen?
Ich würde mir wünschen, dass es völlig normal ist, in eine Kinder­wunsch­behand­lung zu gehen und zu sagen: Ich habe jemanden, der sich um die körper­liche Seite kümmert, die Ärzte. Und ich habe jemand, der sich um die seelische Seite kümmert. 

Tipp: Nähere Informationen zum Unter­stützungs­angebot für ungewollt kinderlose Frauen gibt es unter kindersehnsucht.de.


Dein glückskind-Team