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Hebamme aus Leidenschaft

Manuela Burkhardt mit Baby im Arm

Ihren großen Erfahrungsschatz als Hebamme weiß auch die Familie zu schätzen – Manuela Burkhardt mit ihrem Enkelchen. © Manuela Burkhardt/privat

Manuela Burkhardt ist seit vier Jahrzehnten Hebamme und engagierte sich im Hebammenbeirat von dm für die Belange von Hebammen, jungen Müttern und Vätern. Zum internationalen Hebammentag hat glückskind mit der erfahrenen Hebamme und Stillberaterin IBCLC* gesprochen – und über ihren Beruf, ihren Lebensweg und das, was ihr für ihren Berufsstand und für junge Mütter so alles auf den Nägeln brennt.

Schon mit 19 stand Manuela Burkhardt als frisch ausgebildete Hebamme in einem Stuttgarter Kreißsaal. 40 Jahre später mit fast 59 Jahren und sehr vielen unterschiedlichen beruflichen Stationen wechselt sie noch einmal die Position und geht als Lehrerin an eine Berufsfachschule. Denn das ist die Schwäbin auch: Lehrerin für Pflegeberufe und das Hebammenwesen. Ebenso ist sie Heilpraktikerin und Mutter einer Patchworkfamilie mit sechs Kindern, die inzwischen Erwachsen sind, sowie siebenfache Oma. Aber beginnen wir im Interview von vorne ...

glückskind: Wie wurden Sie Hebamme? Gab es ein Schlüsselerlebnis?
Ja, es gab tatsächlich eines. Eine Freundin meiner Mutter hatte gerade ihr drittes Kind bekommen und gab mir den entscheidenden Tipp: „Im Krankenhaus, in dem ich entbunden habe, war eine ganz junge, nette Hebamme. Das wär was, was ich mir für dich vorstellen könnte!“ Ich hatte damals so ein Bild im Kopf, das viele von einer Hebamme hatten: ein älterer, weiblicher Haudegen mit Haaren auf den Zähnen. Daher war ich neugierig auf die junge Hebamme, ging mit meinen 16 Jahren kurzerhand zum Krankenhaus und klingelte an der Kreißsaaltür. Das war schicksalsentscheidend! Ich unterhielt mich mit ihr und wusste: Das will ich werden, das ist genau das richtige für mich! 

Als ich mich in Stuttgart an der Hebammenschule für die damals noch zweijährige Ausbildung bewarb, gab es auf 20 Plätze pro Jahr 800 Bewerbungen. Ich bewarb mich in der 9. Klasse, nach der 10. kam die Einladung zur Aufnahmeprüfung. Die war ein einziges Wechselbad der Gefühle. Am Ende war ich unter den 20, die eine Zusage erhielten. 1983 machte ich mein Examen. Was wir in der Hebammenausbildung erlebten, war etwas ganz Besonderes, das hat einen kleinen Kreis von uns bis heute zusammengeschweißt.

Was war für Sie als Hebamme im Kreißsaal das Schönste?
Wer als Krankenschwester arbeitet, versorgt Kranke. Als Hebamme betreut man meist gesunde Mütter und gesunde Kinder. Das ist das Schöne. Und nach einer Geburt, gibt es immer so einen ganz besonderen Moment: Der erste Augenblick des Lebens! Bei diesem prägenden Moment dabei zu sein, ist ein großes Geschenk. Es ist immer wieder ein Wunder und wird nie zur Routine sondern ist jedes Mal einzigartig. Auch mir als Mutter bleibt dieser erste Augenblick bei der Geburt meiner Kinder unvergessen. Nicht fotografisch, nach dieser langen Zeit, sondern eher als Emotion.  

Welche Möglichkeiten bietet der Hebammenberuf?
Als Hebamme kann ich sehr flexibel in vielen Bereichen arbeiten, habe die Möglichkeit, in der Schwangerenvorsorge zu sein, in der Klinik angestellt, als Beleg- oder Hausgeburtshebamme zu arbeiten. Als freiberufliche Hebamme kann ich meine Zeit frei einteilen und auch noch mit Kindern Wochenbettbetreuung anbieten. Ich kann beim Gesundheitsamt arbeiten oder mich weiterbilden und als Familienhebamme tätig sein. Das heißt, ich habe eine besondere Qualifikation, um in besonders bedürftigen Familien auch über den Zeitraum von acht Wochen hinaus Beistand zu leisten. Zudem habe ich als Hebammen die Möglichkeit, nach dem Studium der Pflegepädagogik in der Ausbildung tätig zu sein. Das sind Optionen, die bietet kein anderer Beruf in der Form. So oder so wäre meine Empfehlung: Wer vorhat Hebamme zu werden, sollte ein Praktikum machen, um eine Ahnung davon zu bekommen, was der Beruf bedeutet. Denn Hebamme zu sein ist nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung!

Sie entschieden sich nach einer Weile als Hebamme im Kreißsaal freiberuflich zu arbeiten – weshalb?
Es war noch mal eine neue Herausforderung meine eigene Chefin zu sein. Das hat mich auch darin beflügelt, mir mit Feuereifer ganz viel nachträglich anzueignen, um die Frauen, die ich betreute, bestmöglich zu unterstützen. Gerade das Thema Stillen war in der Ausbildung so gut wie gar nicht vorgekommen. So wurde ich zusätzlich zertifizierte Still- und Laktationsberaterin IBCLC, und da ich schon immer gerne naturheilkundliche Verfahren in der Wochenbettbetreuung eingesetzt habe, kam noch die Heilpraktikerin dazu. 

Sie wechselten dann in Unternehmen, zuletzt waren Sie bei Medela tätig, um selbst Ihr Möglichstes dazu beizutragen, die Situation in puncto Stillen an Kliniken zu verbessern. 
Ja, Medela ist ein Unternehmen, das gemeinsam mit weltweit führenden Meinungsbildnern viel in Forschung und Lehre investiert. Dieses Wissen gab ich unter anderem in Schulungen für Fachpersonal in Krankenhäusern weiter. Stillen ist so wichtig von Geburt an, damit die Milchbildung auch gut funktioniert.

Welche Ratschläge geben Sie jungen Müttern?  
Mütter sollten generell eine informierte Entscheidung treffen und wissen, dass Muttermilch die natürlichste Nahrung ist, die die beste Entwicklung für das Kind unterstützt und alles beinhaltet wie zum Beispiel Immunabwehrstoffe. Für kranke Kinder ist Muttermilch wie eine Medizin. Trotz allem Positiven, das in Muttermilch steckt, sollte sich die werdende Mutter bewusst entscheiden dürfen, ob sie stillen möchte oder nicht, und sich in ihrer Entscheidung auch nicht drängen lassen. Zu Stillen bedeutet sehr viel Nähe und Körperlichkeit mit dem Kind, das kann eine Frau auch überfordern. Damit Stillen gelingt, kann ein Stillvorbereitungskurs in der Schwangerschaft sehr hilfreich sein, um mit realistischen Vorstellungen und gut gerüstet in das Abenteuer Elternschaft zu starten. 

In welche Gefühlswelten taucht eine Hebamme ein?
Als Hebamme nehme ich am Wunder der Geburt teil, trage aber auch ein Stückweit die Verantwortung für die Gesundheit von Mutter und Kind. Am Anfang des Lebens dabei zu sein und Unterstützung zu leisten fühlt sich sehr sinnvoll an. Hebamme sein bedeutet auch, Frauen in einer wichtigen Zeit, gerade beim ersten Kind, in ihrem Muttersein zu begleiten. Manchmal gilt es natürlich auch traurige Situationen zu meistern, aber das ist zum Glück die große Ausnahme. Bei der Wochenbettbetreuung kommt man in einen Haushalt, wird freudig eingelassen. Das hat eine besondere Qualität. Man bekommt einen Einblick in das intimste Leben einer Familie und hat viele schöne Begegnungen. Hebamme sein ist auch ein bejahender Beruf. Trotz dieser Intimität ist es wichtig, dass man als Hebamme nicht die Freundin ist, sondern professionelle Unterstützung, auch ein Stückweit Psychologin und Fachfrau für diese sensible Lebensphase. Eine Freundin zu werden, möchte ich damit nicht ausschließen, so habe ich selbst meine beste Freundin bei der Geburt ihres zweiten Kindes kennengelernt. Ich meine mit der Aussage, dass man den fachlichen Blick nicht verlieren sollte.

Weshalb ist es gerade für Erstgebärende so wichtig, eine Hebamme zu haben?
Unsere Unterstützung tut am Anfang sehr gut, denn gerade Erstgebärende sind oft unsicher und haben viele Fragen. Und dann ist es wichtig, jemanden zu haben, der ihnen die Sicherheit und Bestätigung gibt, dass sie alles richtig machen und sie darin bestärkt, sich auf sich zu verlassen und sich nicht durch Informationen aus dem Internet oder Aussagen anderer verunsichern zu lassen. Neben dem Stillen schauen wir natürlich, ob der Nabel beim Neugeborenen gut abheilt und kümmern uns um andere medizinische Belange. 

Was bringt die Akademisierung der Hebammenausbildung? 
Um ein vergleichbares Mindestniveau der Hebammenausbildung in den EU-Mitgliedsländern zu gewährleisten, wurden in einer EU-Richtlinie Mindeststandards festgelegt. Die heutigen Arbeitsinhalte, die gesetzlichen Anforderungen und die große Verantwortung erforderten ein Ausbildungsniveau auf Bachelorebene, so die Argumentation. Man möchte den Hebammenberuf dadurch auch attraktiver machen. Bis 2023 gibt es noch eine Übergangslösung, und die letzten schulischen Ausbildungen dürfen noch beendet werden. Wenn die ersten Hebammen ihr sechssemestriges duales Studium abgeschlossen haben, dann wird man sehen, wie das Miteinander im Kreißsaal funktioniert und wie sich die Studierendenzahlen entwickeln. Die Akademisierung ermöglicht zudem mehr Forschung. Im Hebammenbereich gibt es spannende Fragestellungen und Themen, die man mit Studien belegen könnte. Denn bis jetzt existiert zwar sehr viel Erfahrungswissen, das jedoch nicht evidenzbasiert ist. Tatsächlich gab es mal eine Studie darüber, ob in Vollmondnächten mehr Kinder geboren werden. Denn diese Annahme hält sich nach wie vor hartnäckig. Das Ergebnis war: Es stimmt gar nicht!

Wie haben Sie den Hebammenbeirat von dm erlebt, in dem Sie jahrelang aktiv waren? 
Ich finde es toll, dass es so etwas gibt, weil der Hebammenbeirat nach den Bedürfnissen der Hebammen schaut und danach, wie man über sie auch die Mütter unterstützten kann. Um nur ein Beispiel zu nennen, haben wir uns darüber ausgetauscht, dass auf den Babygläschen nicht „nach dem 4. Monat“ steht, sondern „ab dem 5. Monat“. Das wurde daraufhin geändert. Das war ein wichtiger Schritt zum Thema Beikosteinführung, der mir zeigte, dass die Empfehlungen des Hebammenbeirats ernst genommen werden und Veränderungen der Praxis nach sich ziehen können. 
 
Durch die Kooperation und den Austausch von dm mit Hebammen sind auch das Stillregal, der Wickeltisch und die Stillecke in größeren dm-Märkten entstanden.

Was brennt Ihnen besonders auf den Nägeln?
Ich finde es sehr tragisch – und da sind die Mütter die Leidtragenden – , dass wir in Deutschland einen chronischen Hebammenmangel haben, unter anderem, weil Hebammen in andere Berufe abwandern. Ich fürchte, der Notstand wird noch größer werden. 30 Prozent der Mütter bekommt keine Hebamme zur Nachsorge. Und das finde ich in Zeiten der Pandemie noch einmal schlimmer, weil die Mütter schon zwei Tagen nach der Geburt nach Hause gehen. Da ist die Milchbildung noch gar nicht richtig in Gang gekommen. Das heißt, in einer sehr, sehr wichtigen Phase, wird eine Mutter mit ihren Fragen und Unsicherheiten allein gelassen. Es gibt auch zu wenige Hebammen im Kreißsaal. Viele sind überlastet. Man kann nicht drei Geburten gleichzeitig betreuen. Auch der Deutsche Hebammenverband und andere Organisationen fordern seit Langem eine Eins-zu-Eins-Betreuung. Aber wir brauchen auch Angebote, den Beruf attraktiver zu machen. Das müsste politisch unterstützt werden, genauso wie in der Pflege: eine Aufwertung der Berufe, eine bessere Bezahlung, verträgliche Modelle, um Schichtdienst und Familie zu vereinbaren. Das wäre mein Appell: dem Hebammennotstand endlich entgegen zu wirken! 

Was raten Sie in der aktuellen Krisensituation der Pandemie?
Ich will das Negative einmal ins Positive umwandeln: Der Vorteil der Pandemie ist, dass in der Klinik eine viel ruhigere Atmosphäre herrscht. Man hat mehr Ruhe, sein Kind kennenzulernen, und auch zu Hause sollte man das ausnutzen, sich auf das Wesentliche besinnen und die Zeit dafür haben. Auch viele Männer können im Homeoffice sein – das ist doch wunderbar! So können alle gemeinsam viel mehr die Familie genießen. 

Übrigens wird immer deutlicher, dass das Stillen der beste Schutz für die Kinder darstellt, auch wenn die Mutter coronapositiv ist. Sie hat dann Antikörper in der Muttermilch. Auch der wichtige Haut-zu-Hautkontakt mit dem Kind ist möglich, unter Einhaltung der uns bekannten Maßnahmen. Es gibt also erfreulicherweise keinen Grund nicht zu stillen. Und auch Kinder, die sich mit dem Coronavirus anstecken, haben meist mildere Verläufe, wenn sie Muttermilch bekommen. Stillen sollte daher unbedingt auch während der Pandemie unterstützt werden. 

*IBCLC: steht für International Board Certified Lactation Consultant, das ist der international geschützte Titel für examinierte Still- und Laktationsberaterinnen.