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Plötzlich ist das Baby da

Papa mit Frühchen auf dem Arm

Ein Papa kuschelt mit seinem frühgeborenen Baby. © manonallard / iStock

 Interview mit dem Frühchen-Papa Sebastian Behrens

Jeder einzelne Tag im Bauch der Mutter ist wertvoll für ein Kind. Das ist Fakt. Fakt ist aber auch, dass in Deutschland jährlich etwa 65.000 Kinder vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche geboren werden. Somit ist jedes zehnte Neugeborene ein sogenanntes „Frühchen“, das einer besonderen Betreuung bedarf.

Wie belastend eine Frühgeburt für Eltern und Kinder sein kann, weiß Sebastian Behrens. Er wurde im Juli 2015 Vater eines Sohnes, der bei der Geburt in der 35. Schwangerschaftswoche 1.480 Gramm wog. Im Interview erzählt er, wie es ihm ergangen ist, und wie es dazu kam, dass er eine Facebook-Gruppe speziell für Frühchen-Papas gegründet hat:

„Wie haben Sie damals die Zeit im Krankenhaus wahrgenommen?"

„Ich kann sie heute mit ausreichendem Abstand als traumatisch bezeichnen. Meine Frau und mein Sohn waren nach der Geburt zwei Wochen im Krankenhaus, ich durfte eine Woche auch nachts bei ihnen bleiben. Als Vater sitzt man allerdings auf dem „Beifahrersitz“: Das Meiste spielt sich zwischen der Mutter mit Kind und den Ärzten ab. Hinzu kam, dass der menschliche Körper zwar auf solche Stresssituationen perfekt vorbereitet ist, man funktioniert einfach. Auf was er hingegen nicht vorbereitet ist, sind meiner Meinung nach die emotionalen Auswirkungen, wie Verlustängste. Zusätzlich zur Angst um meinen Sohn habe ich Dinge von anderen Patienten mitbekommen, die ich nicht mitbekommen wollte, weil ich Angst hatte, dass es meinem Sohn ebenso ergeht.“

„Wie ging es Ihrem Sohn nach der Geburt und wie geht es ihm heute?"

„Mein Sohn konnte nach der Geburt bereits selbstständig atmen, eine auftretende Lungenentzündung warf uns aber alle ganz schön zurück. Das waren die schwersten Tage im Krankenhaus. Bei der Entlassung wog er gerade mal 1.700 g. Wir mussten ihm zuhause alle drei Stunden rund um die Uhr hochkalorische Nahrung füttern. Unsere Hebamme hat uns sehr unterstützt und kam täglich zur Gewichtskontrolle. Auch den Kinderarzt haben wir spätestens alle vier Wochen gesehen. Zudem stand Physiotherapie speziell für Frühgeborene auf dem Programm. Und ein spezialisierter Augenarzt hat geprüft, ob sich die Netzhaut gelöst hat, was eine Folge der Beatmung sein kann. Ich hatte auch ständig Angst, dass wir zurück ins Krankenhaus müssen und er sich mit irgendetwas ansteckt. Heute ist mein Sohn ein ganz normaler, fröhlicher, wissbegieriger Junge. Natürlich – wie häufig bei Frühchen – ist das Gewicht immer mal wieder Thema. Motorisch braucht er etwas länger als die anderen, aber alle Kinder sind verschieden und das ist auch gut so."

„Warum haben Sie eine Facebook-Gruppe speziell für Väter von frühgeborenen Kindern gegründet?"

„Nach einiger Zeit habe ich selbst gemerkt, dass ich viele Erlebnisse nicht gut verarbeitet habe. Ich war lärmempfindlich, schnell gereizt und viel früher als vorher an meinem Stresslimit. Zudem hätte ich meinen Sohn gerne in Watte gepackt. Kein Wunder, denn ich hatte eine ganze Weile Angst um sein Leben. Ich suchte Rat und stieß auf den Bundesverband „Das frühgeborene Kind" e. V., der Frühchen-Eltern unterstützt. Der Austausch tat einfach sehr gut, ich wusste dadurch, dass ich nicht alleine bin. Da ich selbst mit dem Internet groß geworden bin, kam mir die Idee mit der Facebook-Gruppe. Es gibt schon einige Gruppen für Frühchen-Eltern, aber da dominieren eher die Mütter. Ist halt typisch Mann: Spricht ungern über seine Gefühle."

„Welche Fragen und Themen werden in der Facebook-Gruppe am häufigsten diskutiert?"

„Was mich immer wieder besonders freut, ist, dass sich Papas direkt von der Neonatologie melden und Hilfe suchen, beispielsweise wenn es um medizinische Entscheidungen geht oder einfach zum kollektiven „Daumen drücken“ und Mut zusprechen. Das ist manchmal recht emotional, hilft ihnen aber unmittelbar. Auch nach dem Krankenhausaufenthalt gibt es Fragen, etwa wenn ein Pflegegrad, eine Reha oder eine Haushaltshilfe beantragt werden sollen oder wenn Krankheiten auftreten. Es gibt auch Väter, die einfach aus ihrem Leben berichten und beispielsweise Fotos von den ersten Schritten der Kinder, Fahrradfahren oder der Einschulung posten."

„Was würden Sie werdenden Eltern im Rückblick vor einer Geburt raten? Was würden Sie ihnen direkt nach einer Frühgeburt raten?"

„Das ist schwierig, da der Großteil der Eltern ja völlig unverhofft und plötzlich in die Situation kommt. Eines ist aber ganz wichtig: Hilfe holen, mit anderen reden. Ob es der Psychologische Dienst im Krankenhaus ist oder die entsprechende Facebook-Gruppe. Sorgen, Fragen und Nöte mit anderen zu besprechen, hilft ungemein. Und obwohl man solche Situationen sein Leben lang nicht vergisst, fühle ich mich wieder wie ich selbst und bin definitiv gestärkt aus den Gesprächen heraus gegangen."

„Der Welt-Frühgeborenen-Tag möchte darauf aufmerksam machen, dass Probleme und Risiken der betroffenen Kinder nicht entsprechend wahrgenommen werden. Was muss sich grundsätzlich ändern, dass dies anders wird?"

„Wir können uns glücklich schätzen solch eine hervorragende medizinische Versorgung in Deutschland zu genießen, aber auch hier ist speziell bei der Nachsorge manchmal Luft nach oben. Ich nehme immer wieder zur Kenntnis, dass Frühchen-Eltern in der Bürokratie gefangen sind. Sie warten lange auf Unterstützung für zu Hause oder gehen in finanzielle Vorleistung, beispielsweise für Therapien.

Zum Welt-Frühgeborenen-Tag würde ich mich freuen, wenn das Brandenburger Tor in Lila-Licht erscheint. Sehenswürdigkeiten werden nämlich traditionell in vielen Städten weltweit lila angestrahlt."

Zu finden ist die Gruppe von Sebastian Behrens unter www.fruehchen-papas.de

Weitere Selbsthilfegruppen und Initiativen findest Du beim Bundesverband Das frühgeborene Kind e. V.

Dein glückskind-Team